Paroles de vignerons - Vinparleur - Winzer talk

Früher gab’s mehr Wein: Gebirge

Liebe A.
Die Zeit vergeht schnell, und ich schaffe es erst heute, Dir zu Antworten. Tut mir leid um Deinen abgebrochenen Zahn, ebenso für den Hundehaufen. Ein kleiner Trost: Die Welt ist letztlich nicht untergegangen.


Photo von Alexandre Buisse (Nattfodd)

Ich erinnere mich sehr gut an die träge, warme Sommerluft von der Du sprichst. Aber Du hast Recht, mit dem 2010er habe ich nichts mehr zu tun. Ich habe ihn nicht einmal probiert, schon seit fünf Jahren nicht mehr, und ich beneide Dich fast um die Unbefangenheit, beziehungsweise dem angenehmen Hintergrund, mit dem du diese Flasche entkorken kannst. Zum Glück gibt es aber genug Wein auf der Welt, sodass auch ich angenehme, flüssige Erinnerungen meine Kehle herunter laufen lassen kann. Dabei funktioniert es nicht immer, wie du selber festgestellt hast, man kann auch Enttäuschungen trinken. Beides zeigt jedoch, dass der Geschmack eines Weines nicht nur von Molekülen bestimmt wird. Äußere Umstände, innere Stimmung, Erinnerungen, all das beeinflusst den Wohlgeschmack. Das macht es nicht gerade einfacher, einen Wein „neutral“ zu beurteilen und seinen „Wert“, emotionell oder finanziell, zu bestimmen.

Sollte also die ganze Arbeit der Journalisten, Sommeliers und Œnologen, die unermüdlich über Wein schreiben und reden für die Katz sein, Weinkurse Blödsinn und Verkostungen verlorene Zeit? Solange man mit besten Freunden und geliebter Familie im Urlaub ist schmeckt jeder Wein? Arbeitsstress, Novemberwetter und unbekannte Menschen killen jeden Grand Cru? Weder noch. Denn zum Glück hat der Wein auch noch sein Wörtchen zu sagen und das kann zu seinem Vorteil oder Nachteil sein...

Erst vor kurzem bin ich einem Wein begegnet, der besser geschwiegen hätte. Als Gewürztraminer gab er sich aus, zumindest auf dem Etikett. Im Glas gab er sich jedoch eher als bitteres und gezuckertes Wasser aus, das jede Form von Eleganz oder Ausgewogenheit vehement ablehnte. Außen Hui und innen Pfui... Und das, obwohl ich mit geliebten Freunden zusammen war.

Ich glaube also, dass obwohl man den Freuden des Weines heute mit kritischem Auge, gezücktem Bleistift und sogar mit „Neuromarketing“ und Hirnstrommessungen verbissener denn je auf den Fersen ist, das vollständige Geheimnis seines Geschmacks noch lange verschleiert und (dadurch) seine Faszination erhalten bleiben wird.

So lange wird Weingeschmack mehr einer Berglandschaft ähneln, als sich auf Formeln, Erklärungen und Trends reduzieren lassen: Wunderbare Wanderwege, sanft wogende Bergwiesen, steile Schluchten, kühne Gipfel, wohltuendes Panorama, frisch wie ein Bergbach und frei wie Gebirgsluft, kühl wie Schnee... aber auch verstauchte Knöchel, erdrückende Lawinen, Muskelkater, zu kleine oder nicht eingelaufene Schuhe, Halsentzündung. Geschmack sollte man sich immer mit gewisser Vorsicht und Bedacht nähern.

Und wenn man mal weit oben ist, auf keinen Fall ins Leere treten!



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